Warum Gewerkschaften echte Nachhaltigkeit statt Greenwashing brauchen

Moin! Neulich auf einer Betriebsversammlung: Die Geschäftsführung präsentiert stolz die neue „Nachhaltigkeitsstrategie“ – bunte Folien, CO2-Kompensationen irgendwo in Südamerika, ein paar Recycling-Tonnen mehr. Die Kolleginnen und Kollegen? Applaudieren pflichtschuldig. Die Gewerkschaft? Nickt zustimmend. Und ich denke: Moment mal, ist das wirklich unser Job? 

Der Elefant im Raum

Lassen wir uns nichts vormachen: Wenn Gewerkschaften auf den Nachhaltigkeitszug aufspringen, ohne genau hinzuschauen, machen wir uns zu nützlichen Idioten des Greenwashings. Wir legitimieren dann mit unserem guten Namen Maßnahmen, die vor allem eins sind – gutes Marketing. Dabei haben wir als Gewerkschaften eine verdammt wichtige Aufgabe, wenn es um echte Transformation geht. 

Was ist denn eigentlich „vernünftige“ Nachhaltigkeit?

Vernünftige Nachhaltigkeit aus gewerkschaftlicher Sicht bedeutet: Sie muss die Beschäftigten mitnehmen, nicht zurücklassen. Sie schafft gute, sichere Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Branchen oder macht die Branche zukunftssicher. Sie bedeutet Weiterbildung statt Entlassung. Sie heißt Mitbestimmung bei der Transformation, nicht Pressemitteilungen nach vollendeten Tatsachen.

Blanker Aktionismus dagegen? Das sind die symbolischen Papiertüten im Supermarkt, während die Lieferketten weiter fragwürdig bleiben und Biosiegel selbst gestaltet werden können und „regional“ bis 500 km bedeutet. Das sind Elektro-Dienstwagen für die Führungsetage, während noch gute Lebensmittel weiter klimaschädlich entsorgt werden müssen. Das ist die „klimaneutrale“ Versandoption beim Online-Händler, der seine Paketboten zu Hungerlöhnen beschäftigt. 

Der Just-Transition-Imperativ

Wir stehen vor der größten Transformation der Arbeitswelt seit der Industrialisierung. Branchen verschwinden, neue entstehen. Wer jetzt nicht aufpasst, erlebt ein Déjà-vu des Strukturwandels der 90er Jahre – nur in Grün. Dann heißt es wieder: „Tut uns leid, aber der Markt, die Klimaziele, ihr versteht schon…“

Echte gewerkschaftliche Nachhaltigkeitspolitik stellt unbequeme Fragen:

  • Wer zahlt für den Umbau – die Beschäftigten oder die Profiteure jahrzehntelanger umweltschädlicher Geschäftsmodelle?
  • Welche Qualifikationen brauchen Beschäftigte für „grüne“ Jobs, und wer finanziert die Weiterbildung?
  • Wie sichern wir gute Arbeitsbedingungen in neuen „grünen“ Branchen – oder wiederholen wir die Fehler der Plattformökonomie?
  • Warum sollen Beschäftigte Verzicht üben, während Konzerne weiter nur „greenwashed“ weitermachen wie bisher? 

Greenwashing erkennen und bekämpfen

Gewerkschaften haben die Kompetenz und die Position, echte von falscher Nachhaltigkeit zu unterscheiden. Wir sitzen in Aufsichtsräten, Betriebsräten, an Verhandlungstischen. Wir können nachprüfen, ob hinter den grünen Versprechen echte Veränderung oder nur PR steckt.

Ein Beispiel: Ein Unternehmen feiert seine „klimaneutrale Produktion“. Man schaut genauer hin und fragt: Wurde tatsächlich CO2 eingespart oder nur kompensiert? Wurden die Emissionen outgesourct? Welche sozialen Standards gelten in der Lieferkette? Wurden Beschäftigte in die Planung einbezogen? Entstehen durch Automatisierung und K.I. neue Gefährdungen? 

Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit

Hier liegt der Kern gewerkschaftlicher Verantwortung: Nachhaltigkeit ist kein rein ökologisches Projekt. Die UN-Nachhaltigkeitsziele umfassen gute Arbeit, faire Löhne, Geschlechtergerechtigkeit. Wenn wir zulassen, dass „Nachhaltigkeit“ auf CO2-Bilanzen reduziert wird, während Arbeitsrechte geschleift werden, haben wir versagt.

Die Solarbranche in Deutschland ist ein warnendes Beispiel. Grüne Technologie, subventioniert mit Milliarden – aber am Ende in Billiglohnländer ausgelagert, weil niemand für gute Arbeitsbedingungen gekämpft hat. Das darf uns bei Windkraft, Batterieproduktion und Wasserstoff nicht noch einmal passieren. 

Was Gewerkschaften jetzt tun müssen

Erstens: Expertise aufbauen. Wir brauchen gewerkschaftliche Nachhaltigkeitsexpertinnen, die mitverhandeln können, wenn es um Transformationspfade geht.

Zweitens: Rote Linien ziehen. Keine Zustimmung zu Nachhaltigkeitsstrategien ohne verbindliche Beschäftigungssicherung, Qualifizierung und Mitbestimmung.

Drittens: Kritischen Dialog fördern mit Arbeitgeberverbänden, Politikern, Umweltverbänden, Klimabewegung, Sozialorganisationen – aber auf Augenhöhe und mit klaren sozialen Forderungen.

Viertens: Den Diskurs nicht überlassen. Wenn wir nicht definieren, was gerechte Transformation bedeutet, tun es andere – meist nicht in unserem Sinne. 

Das Fenster schließt sich

Die kommenden Jahre entscheiden, ob die ökologische Transformation sozial gerecht gelingt oder auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Gewerkschaften, die jetzt für billigen Aktionismus applaudieren, werden später nichts mehr zu verhandeln haben. Die Weichen werden jetzt gestellt.

Deshalb: Schluss mit dem grünen Feigenblatt. Gewerkschaften müssen unbequem sein, nachfragen, nachrechnen, nachhaken. Wir sind keine Abteilung der Unternehmenskommunikation. Wir vertreten die Interessen derer, die morgens zur Arbeit gehen – und das auch in zwanzig Jahren noch tun wollen, unter guten Bedingungen, in einer lebenswerten Umwelt.

Das ist echte Nachhaltigkeit. Alles andere ist Folklore.

 

Harm Marten Wellmann

 

 

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