WOW-Seminar: Einheit in Vielfalt und Vielfalt in Einheit: Vielfalt braucht Gleichheit

Durch das spürbare Abnehmen der Auswirkungen der Corona-Virus-Pandemie ist nun auch eine Rückkehr zu gewohnten Arbeitsverhältnissen auf der internationalen Ebene wieder möglich. So konnte der DHV mit dem Bundesgeschäftsführer Henning Röders und dem Landesgeschäftsführer Lukas Menzel zwei Delegierte zum WOW-Seminar vom 08.-10.02.2023 nach Lissabon entsenden. Unter dem Überthema „Einheit in Vielfalt und Vielfalt in Einheit: Vielfalt braucht Gleichheit“ tauschten sich die Vertreterinnen und Vertreter von Arbeitnehmerorganisationen aus 18 verschiedenen Nationen zu den unterschiedlichen Formen von Diskriminierungen am Arbeitsplatz, ihren Auswirkungen und Möglichkeiten zu ihrer Überwindung aus. Gleich zu Beginn der Tagung erinnerte der Vize-Präsident Mikael Arendt Laursen (Krifa-Dänemark) an die bedrückende internationale Situation angesichts des nun fast ein Jahr andauernden Überfalls Russlands auf die Ukraine und der humanitären Katastrophe durch das Erdbeben in der Türkei und Syrien. Daher übergab er das Wort an unsere Kollegin Viktoriia Matsiupa (VOST-VOLYA), die uns einen deutlichen Eindruck von dem fürchterlichen Leid vermittelte, dass aufgrund von Verwüstung, Tod und Verstümmelung über unsere Mitmenschen in der Ukraine hereingebrochen ist. Zwar drückte sie Zuversicht aus, dass die Ukrainer mit westlicher Unterstützung die Invasoren besiegen können, aber sie befürchtet, dass auf dem Weg dorthin die Chance auf eine bessere Zukunft gerade für die Jüngeren im Land verloren geht. Für ihren starken Beitrag erhält Viktoriia Matsiupa anhaltenden Applaus. Mikael Laussen greift die Stimmung der Anwesenden auf, indem er darauf hinweist, dass die Aufgaben, mit denen wir uns in unserer täglichen Arbeit konfrontiert sehen, im Vergleich sehr klein wirken. Trotzdem müssen wir als Gewerkschafter, die unseren gemeinsamen christlichen Wertekanon immer im Hinterkopf haben, unser Bestes geben, täglich für die Anliegen der Beschäftigten einzutreten und auf ein stetiges Verbessern der Arbeitsverhältnisse und –bedingungen für alle hinzuwirken.

Dass es immer noch zu einer erheblichen Schlechterstellung einer bestimmten Personengruppe im Arbeitsleben kommt, wurde deutlich, als Prof. Maira Paulo Pestana de Freitas Pinto ihre Untersuchungen zum Umgang mit Menschen mit Behinderungen auf dem portugiesischen Arbeitsmarkt vorstellte. Mit dem Wechsel vom medizinischen zum sozialen Betrachtungsmodell ist zwar in den vergangenen Jahrzehnten ein bedeutender Wechsel zum Besseren hin vollzogen worden. Nun stellt man nicht mehr die Einschränkungen durch die Behinderung, sondern die oft einschränkende Umgebung in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Mit der Umsetzung der Bestimmungen der UNO Menschenrechtskonvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderung, ist nun auch deren Anspruch auf Beschäftigung als Teil ihrer Menschenwürde anerkannt. Aber es lässt sich im portugiesischen Arbeitsmarkt eine klare Segregation feststellen, die dafür sorgt, dass Behinderte hauptsächlich in staatlich gefertigten Werkstätten oder speziell eingerichteten Praktikumsplätzen eingesetzt werden, wo sie unabhängig von ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit nur wenig anspruchsvolle Tätigkeiten ausüben und oft nur über einen kurzen Zeitraum beschäftigt werden. Zwar liegt der Schnitt von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Behinderung über dem europäischen Durchschnitt aber gleichzeitig werden die von der Regierung gesteckten Ziele klar unterschritten und gerade bei den älteren Personen mit Behinderung ist die Gefahr der dauerhaften Arbeitslosigkeit besonders ausgeprägt. Prof. Maria Pinto sieht hier gerade die Gewerkschaften in der Pflicht in Diskussionen mit der Politik und Verhandlungen mit den Arbeitgebern verstärkt auf einen inklusiven Arbeitsmarkt hinzuwirken.

In seinem Vortrag „die Zukunft der Arbeit: der Kampf für Gleichheit“ betrachtete Prof. António Pedro Roque da Visitacao Oliveira die Zukunftsfähigkeit bestimmter Berufsbilder angesichts der voranschreitenden Mechanisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt. Gerade im Verlauf der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts haben Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter zunehmend erkannt, dass sie durchaus ein gemeinsames Interesse verfolgen. Dies führte zu gemeinsamen Übereinkünften hinsichtlich von Arbeitszeit, Pausenregelungen, Gesundheits-versorgung, Lohn- und Gehaltsanpassungen zu einer allgemeinen Verbesserung der Arbeitsbedingungen und einem miteinher gehenden Ausbau des Sozialstaates. Die Beziehungen im klassischen Verhältnis eines Arbeitnehmers mit einem Arbeitgeber waren und sind es heute noch häufig durch Gesetze und kollektivrechtliche Vereinbarungen klar geregelt. Entgegen dieser klassischen Arbeitsverhältnisse sind nun immer mehr atypische Formen des Einkommenserwerbes anzutreffen: Teilzeit, befristete Arbeitsverhältnisse, Saisonarbeit unterschiedlicher Ausprägung, Arbeit mittels moderner Telekommunikationstechnik von zu Hause aus oder Plattformarbeit. Diese Beschäftigungsverhältnisse bringen für beide Seiten durchaus Vorteile. So profitieren die Arbeitnehmer von größeren Freiheiten bei der Ausgestaltung ihrer Arbeit oder dem Wegfall zeitraubender Arbeitswege, während die Arbeitgeber z.B. weniger Büroflächen bereithalten müssen. Gleichzeitig führt diese „Uberisierung“ des Arbeitsmarktes zu bisher unbekannten Herausforderungen an die momentane Gesetzgebung und die Sozialsysteme. Es ist ein Zusammenhang zwischen Berufsbildern, die eine deutliche Arbeitsroutine und klare Arbeitsabläufe aufweisen sowie ihrem zunehmenden Verschwinden festzustellen. Beim Blick auf die Zukunft ist Prof. António Oliveira aber optimistisch, dass sich der europäische Arbeitsmarkt und von ihm abhängigen Sozialsysteme als anpassungsfähig erweisen werden. 

Die Zufriedenheit eines Arbeitnehmers mit seiner Tätigkeit hat direkte Auswirkungen auf seine Gesundheit und sein soziales Leben. Da es sich aber bei der Jobzufriedenheit um einen nicht klar zu beziffernden weichen Faktor handelt, gerät er etwa bei Tarifverhandlungen schnell aus dem Blick. Ein sehr interessantes Projekt in diesem Zusammenhang stellte der Kollege Rolf Weber (Kifra Dänemark) in seinem Beitrag „ein anderer Blick: Ungleichheit bei der Jobzufriedenheit“ vor. Ein eigens für die Untersuchung der Jobzufriedenheit ins Leben gerufene dänische Institut hat eine Messskala aus sieben Faktoren entwickelt. In den Bereichen Bedeutung, Fähigkeit, Führung, Einfluss, Gleichgewicht, Erfolg und Kollegen konnten die Befragten jeweils null bis 100 Punkte vergeben und so einen Gesamtwert für die Zufriedenheit mit ihrer Beschäftigung erhalten. Die Forscher haben errechnet, dass sich ein Punkt in der Gesamtbetrachtung Jobzufriedenheit mit einem Wert von 2.110 € beziffern lässt. Bei einer Steigerung der Zufriedenheit der Beschäftigten erfolgt ein Rückgang bei Krankheitstagen und der Fluktuation auf Arbeitsplätzen. Auch die gesamtgesellschaftlichen Vorteile bei einer höheren Wertschätzung der Angestellten für ihre Arbeit schlagen mit einem späteren Renteneintritt, geringer Belastung der Krankenkassen und einer allgemein höheren Produktivität äußerst positiv zu Buche.    

Zum Eingang ihres Vortrages „Adel verpflichtet“ stellte die Kollegin Soraya Faez (CNV Niederlande) die provokante Frage, warum es nach so vielen Jahren der Diskussionen und daraus resultierenden Verpflichtungen zu mehr Diversität und Inklusion in Unternehmen noch immer neue Gesetzgebung und Maßnahmen in diesem Bereich braucht. Man muss sich an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass die meisten Firmen auch heute noch nur in der Gesamtbetrachtung divers wirken. Steigt man die Leiter der unternehmensinternen Hierarchien weiter hinauf, so dominiert noch immer der Typus des „älteren weißen Herren“. Erst wenn sich auch auf der Führungsetage die Gesamtzusammensetzung der Belegschaft widerspiegelt, hat man den Schritt hin zu einem inklusiven Unternehmen vollzogen. Die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind an dieser Stelle besonders gefordert, die bisher marginalisierten Gruppen in der Belegschaft in den Fokus zu rücken. Die Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter fokussieren sich aber zu häufig auf die Kernthemen Arbeitsplatzsicherheit und Bezahlung. Es gibt hier einen toten Winkel in der Mehrheitsgesellschaft für die von Einschränkungen und Diskriminierungen Nicht-Betroffenen, denen es an dem entsprechenden Erfahrungshorizont fehlt. Hier ist es von entscheidender Wichtigkeit, sich mit den Vertretern der betroffenen Gruppen zusammenzusetzen und sich aus der eigenen Komfortzone herauszuwagen. Sich mit dem bisher Erreichten einer auf den ersten Blick divers erscheinenden Belegschaft zu begnügen, ist zu kurz gegriffen. Das Ziel muss eine inklusive Unternehmenslandschaft sein, in der keine Gruppe mehr ausgeschlossen wird.

Neben diesen und einer Reihe von weiteren Vorträgen, fanden sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars auch zu einer Gruppenarbeit zusammen, um Fragen der politischen Arbeit der WOW, ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und Umsetzung zu besprechen. Es war die einhellige Meinung der Beteiligten, dass in Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik die WOW Position beziehen muss. Um einen regelmäßigen Austausch unter den Mitgliedern sicherzustellen und entsprechende Themen zu identifizieren, wird eine monatlich online tagende Arbeitsgruppe eingesetzt. Diese wird sich auch damit beschäftigen, entsprechende Eingaben bei den unterschiedlichen Institutionen der Europäischen Union einzureichen und deren Umsetzung zu verfolgen. Das Treffen in Lissabon hat bewiesen, wie wichtig der persönliche Austausch auch auf der internationalen Ebene bleibt, um den eigenen Blickwinkel zu weiten und neue Lösungsansätze zu entwickeln.       

Lukas Menzel

DHV-Rheinland-Pfalz/Saar

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